Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht auch jetzt schon
LTO: Herr Professor Fuhlrott, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat nun den Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt, der auch LTO vorliegt. Was davon halten Sie für die wesentlichen Punkte?
Prof. Dr. Michael Fuhlrott: Der Entwurf ist im Wesentlichen eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Vorgaben vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschl. v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 14.05.2019, Az. C-55/18): Es kommt die uneingeschränkte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf elektronischem Wege für alle Beschäftigten.
Die neue Regelung soll nach dem Entwurf allerdings in § 16 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gefasst sein. Da das ArbZG deutschlandweit ohne Rücksicht auf bestimmte Branchen gilt, besteht die Pflicht also für alle Arbeitnehmer:innen in allen Branchen unabhängig von der Betriebsgröße. Nicht erfasst sind leitende Angestellte, Richter:innen und Beamt:innen, für die das ArbZG generell nicht gilt.
Macht der Entwurf Vorgaben dazu, wie die Erfassung zu erfolgen hat?
Die Erfassung muss elektronisch erfolgen, also digital sein. Das darf laut Entwurf aber auch eine Erfassung per App sein oder unter Verwendung von Tabellenkalkulationsprogramm, also etwa Excel. Nicht erlaubt wäre das Ausfüllen eines Papierzettels und dessen anschließender Scan, das wäre lediglich eine elektronische Archivierung.
Hierzu gibt es aber weiche Übergangsfristen. Alle Unternehmen dürfen sich noch ein Jahr Zeit lassen, bis die Erfassung elektronisch erfolgen muss. Kleinere Unternehmen können von dieser Vorgabe noch länger abweichen und die Arbeitszeit der Beschäftigten auch in Papierform oder sonstiger nicht-elektronischer Form erfassen. Kleinbetriebe dürfen zudem zeitlich unbefristet in Papierform erfassen.
(c) Fuhlrott / privat
Wie so oft im Arbeitsrecht, ist auch hier die Grenze an der Anzahl der Beschäftigten festgemacht: In kleinen Betrieben unter zehn Arbeitnehmer:innen ist die Erfassung dauerhaft in nicht elektronischer Art und Weise, also auch per Papierzettel, weiterhin möglich. Etwas pauschal gesagt muss der selbstständige, 63-jährige Schreiner mit einem Gesellen und einem Auszubildenden überhaupt kein elektronisches Zeiterfassungssystem einführen.
Zeitlich begrenzte Übergangsvorschriften gibt es sodann noch für Unternehmen mit weniger als 50 und weniger als 250 Arbeitnehmer:innen. Diese dürfen noch für zwei bzw. fünf Jahre per Papier oder sonstwie nicht elektronisch die Arbeitszeiten erfassen. Die Pflicht kommt aber auch für sie, sie haben nur etwas mehr Zeit, entsprechende Systeme einzuführen. Und: Die Zeiterfassung auf nicht-elektronischen Wege gilt ohne Übergangsfrist.
„Vertrauensarbeitszeit bleibt möglich“
Im Entwurf heißt es, dass die Arbeitgeber:innen die Arbeitszeit erfassen müssen. Was bedeutet das konkret für die Unternehmen, auch für die Vertrauensarbeitszeit?
Der Gesetzesentwurf erlaubt in § 16 Abs. 3 ArbZG-E ausdrücklich, die Pflicht zur Zeiterfassung von den Unternehmen auf die Beschäftigten zu delegieren. Die einzelnen Beschäftigten können danach also verpflichtet werden, ihre Arbeitszeit selbst zu erfassen. Ich bin aber als Arbeitgeber weiterhin verantwortlich dafür, dass die Erfassung läuft, und sollte entsprechende Kontrollen vorhalten.
Die Vertrauensarbeitszeit ist auch nach dem Gesetzentwurf ausdrücklich möglich, darauf nimmt der Entwurf in der Begründung zu § 16 Abs. 4 explizit Bezug. Doch auch bei diesem selbstbestimmten Arbeiten bleibt die Pflicht zur Kontrolle der Arbeitszeit bei den Unternehmen. Es besteht ausdrücklich für alle Beschäftigten die Pflicht zur Dokumentation ihrer Arbeitszeiten.
Wie viele Änderungen in Gesetzen werden für die Umsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erforderlich?
Im Wesentlichen wird § 16 ArbZG angepasst, zudem einige Vorschriften im Jugendarbeitsschutzgesetz und einige branchenspezifische Regelungen wie zum Beispiel in der Offshore-Arbeitszeit-Verordnung.
Die Änderung ist also kein großer Wurf, der jetzt noch weitere Punkte aufnimmt wie zum Beispiel die aus Bayern herangetragene Frage, ob man nicht die tägliche Arbeitszeit weiter flexibilisiert werden sollte. Der Entwurf setzt vielmehr wirklich nur das um, was laut der Rechtsprechung des EuGH und des BAG zwingend zu ändern war.
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